Der letzte Schamane by Juri Rytchëu

Der letzte Schamane by Juri Rytchëu

Autor:Juri Rytchëu [Rytchëu, Juri]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Arktis, Russland, Schamanismus, Tschukotka, USA
Herausgeber: Unionsverlag
veröffentlicht: 2015-12-19T16:00:00+00:00


Wale und Menschen

Archäologische Funde zeugen davon, dass die Walfischjagd bei den Bewohnern der Tschuktschen-Halbinsel von alters her blühte. Die stumme Erinnerung an die Bedeutung der Meeresriesen ist in den Tempeln verewigt, die auf der Insel Yttygran errichtet wurden, und an auffälligen Uferstellen der Tschuktschen-Halbinsel in Form von Alleen mit Bögen aus Walkieferknochen und Walrippen – den »Alleen der Wale«. Pyramiden aus weißen Walköpfen an den Spitzen der Landzungen und felsigen Kaps dienten den alten Seefahrern als eigenwillige Leuchttürme.

Wie sollten die Luorawetlan den Meeresriesen auch nicht verehren! Ein einziger erbeuteter Lygirëu – ein echter Wal, wie die Einwohner von Tschukotka den riesigen Grönlandwal nannten, bekannt auch unter dem Namen Blauwal – versorgte die Bevölkerung von Uëlen den ganzen langen Winter über ausreichend mit Fett für die Nahrung von Mensch und Hund und für die Beheizung des Fellpologs und mit nahrhaftem Fleisch und Itgilgyn. Nicht nur alte Überlieferungen, auch Reiseberichte und wissenschaftliche Untersuchungen bezeugen, dass die Menschen an der Küste der Tschuktschen-Halbinsel fast keinen Hunger und keine verheerenden Epidemien kannten und sich durch hervorragende Gesundheit auszeichneten.

Die ausreichende Nahrung, die unerschöpflichen Vorräte an Tran ließen den Tschuktschen auch genug Zeit für schöpferische Arbeiten. Ein hungriger Mensch in ständigem Existenzkampf hätte nicht die reiche darstellende Kunst schaffen können, die die Arbeitswerkzeuge und Gegenstände des täglichen Bedarfs schmückte, keine Kunstwerke des mündlichen Schöpfertums, bunt an reicher Fantasie und großer Weisheit, von Generation zu Generation weitergegeben.

Hungerjahre und verheerende Epidemien kamen erst mit der Ankunft der Europäer. Der kommerzielle Walfang und die räuberische Vernichtung der Walrossherden und Lagerplätze begann ungefähr 1835, als der Kapitän des Walfangschiffs »Granches«, Bartholomäus Folger, der Welt Mitteilung über riesige Herden noch nicht verschreckter Wale in den an die Beringstraße grenzenden Wassern machte. In dieser Zeit wurde für Waltran als Brennstoff für die Straßenbeleuchtung ein hoher Preis gezahlt, die elastischen Walbarten gaben den Röcken modebewusster Damen den letzten Pfiff.

Um 1845 machten mehr als zweihundertfünfzig Schiffe im Nordteil der Beringstraße auf Wale Jagd. Innerhalb von zehn Jahren erbeuteten Walfänger aus Neuengland tausende Grönlandwale. Der Preis für Walbarten stieg in den besten Jahren auf fünf Dollar das Pfund. So konnte der Gewinn von den Barten nur eines einzigen Wals bis zu 17 000 Dollar betragen. Das Fett wurde in riesigen Kesseln, eingemauert in feuerfesten Ziegelsteinen, direkt an Bord gekocht.

Der gleichen Vernichtung unterlagen die Walrossherden. Von einem getöteten Walross wurden nur das Fett und die Stoßzähne genommen. Danach wurde der Kadaver einfach ins Meer geworfen. Manchmal war die Küste über und über bedeckt mit Resten faulender Walrosse ohne Kopf. Man hat ausgerechnet, dass von 1869 bis 1874 für die Herstellung von 50 000 Barrell Fett 85 000 Walrosse getötet wurden. Innerhalb der letzten hundert Jahre wurden durch die weißen Jäger zwei bis drei Millionen dieser gegen menschliche Grausamkeit hilflosen Tiere vernichtet.

Die Tschuktschen jagten immer noch nach der alten Methode. Beim Erscheinen der ersten Wale an der Küste trat die Zeit der Stille ein. Die Hunde wurden aus Uëlen verbannt und ans südliche Ufer der Lagune gebracht, mit Metallgegenständen wurde äußerst vorsichtig hantiert, die Menschen unterhielten sich leise, und weinende Kinder wurden im Polog versteckt, der mit Fell verhangen war.



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